Ansprache zur Goldenen Konfirmation (Mt 14 & EG+111) vom 27.03.2022

 

Liebe Jubiläumskonfirmandinnen und –konfirmanden, liebe Gemeinde,
 
„wer hat an der Uhr gedreht“, ist es wirklich schon 50 Jahre her?
Es war doch erst gestern, als sie als jungen Leute hier in den Kirchenbänken saßen.
Die Zukunft lag noch ungewiss vor ihnen? Wohin sollten die Lebenswege gehen?
Welche Berufe werden sie einschlagen? Werden sie Partnerschaften knüpfen, eine Familie gründen?
Mehr als 50 Jahre liegen hinter Ihnen seit der Konfirmation.
Für euch heutige Konfirmanden eine unvorstellbar lange Zeit. Wir alle können uns nicht vorstellen, was in 5 Jahren sein wird, geschweige denn in 50 Jahren.
Das Leben hinterlässt in mehr als 50 Jahren viele Spuren. Der Körper zeigt uns deutlich an, dass wir was tun müssen, um im Geschäft zu bleiben.
Es gibt Narben, Sorgen- und Lachfalten, graue Haare, die vielleicht farblich überdeckt werden, oder wie schon bei mir zu erkennen, ein schütteres Haupthaar. Mancher Mann denkt über Haartransplantationen oder Zweithaar nach.
Vor fast 51 Jahren wurden Sie in dieser Kirche konfirmiert. Die Erinnerung daran bedeutet Ihnen etwas, darum sind sie gemeinsam hier.
Alle miteinander können Sie heute gemeinsam dieses Ereignis in ihrem Leben feiern.
Wir erneuern ihren Konfirmationssegen. Die heilsame Stärkung und Berührung mit der Kraft Gottes.
 
Das volle Geläut zur Einsegnung markieren im Dorf, dass heute im Gottesdienst eine wichtige Segenshandlung vollzogen wird.
Eine Urkunde wird sie an diesen Tag heute erinnern und sicher werden sie gemeinsam Fotos austauschen und machen.
Wir sehen, auf die vergangene Zeit und können dabei auf vieles dankbar zurückschauen. Sie haben viel erreicht im Leben.
Vieles ist gelungen und anderes nicht. Alles legen wir heute in Gottes Hand.
Wir sehen aber auch, dass die Zeit nicht alle Wunden heilen kann.
Die Zeit gewährt uns zahlreiche Möglichkeiten, aber sie gewährt uns selten zweite Chancen.
Manche Beziehungen sind in den mehr als 50 Jahren abgebrochen. Vielleicht haben sich Partner gefunden und wieder getrennt?
Vielleicht gab es neue Partnerschaften? Oder sie haben sich entschlossen, allein zu bleiben.
Freundschaften, die in der Jugendzeit eng waren, sind vergangen. Nicht alle sind in Angersbach geblieben. Die Berufe führten einige weiter weg,
Sechs Ihrer damals 33 Konfirmandinnen und Konfirmanden sind mittlerweile verstorben.
Vielleicht können Sie heute die Zeit nutzen, um neue Beziehungsbande zu knüpfen.
Der Zeitstrahl kennt nur eine Richtung. Und wir können die Zeit nicht zurückdrehen.
Die Goldene Konfirmation ist wie die Konfirmation ein Ritual des Übergangs.
So wie mit der Konfirmation der Übergang von der Kindheit zur Jugend, hin zu mehr Verantwortung und Selbständigkeit, gefeiert und bewusstgemacht wird, so steht die Goldene Konfirmation für viele an der Schwelle vom berufstätigen Leben hin zum Ruhestand.
Auch diese Schwelle ist nicht immer leicht zu überschreiten.
Vielleicht haben sie schon rechtzeitig begonnen, sich auf den Wechsel in den Ruhestand vorzubereiten. Andere haben Angst vor der Rente, nicht wegen des Einkommens-, sondern des Bedeutungsverlusts.
Nicht wenige fallen in ein Loch, oder lassen sich ganz gehen. Vielen fällt es schwer, auf die Anerkennung zu verzichten, die das Berufsleben bietet. Das Leben muss neu organisiert werden. Andere freuen sich darauf, denn für das Hobby, den eigenen Garten oder Familie bleiben nun mehr Zeit.
Schön, wenn die viele freie Zeit nicht für Arztbesuche draufgeht, sondern für neue Aufgaben eingesetzt werden kann, wenn nicht gar für eine Neuentdeckung der Welt auf Reisen ohne die Notwendigkeit, Urlaubstage zählen zu müssen.
Bei unseren neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden stellt sich langsam die Frage, was ziehe ich an?
Was haben sie damals angehabt?
Dem letzten Kurs hatte ich aus Spaß in unsere digitale KonApp eine alte Werbung für Konfirmationshüte gepostet.
Einige der Jungs hatten Sorge, dass ich den Kauf von solchen Hüten anregen wollte.
Ich vermute, 1971 haben Sie keine Hüte mehr getragen.
Die Geschenke zur Konfirmation waren nach heutigen Maßstäben wahrscheinlich merkwürdig.
Man schenkte zumindest den Mädchen noch etwas für ihre Aussteuer, was man als Frau zur Gründung einer Familie brauchte.
 
Und das waren dann Handtücher und Porzellan, womit man als junges Mädchen erstmal nicht so recht etwas anfangen konnte.
„Lang, lang ist´s her. Kinder, wie die Zeit vergeht!“
„Meine Zeit steht in deinen Händen“, heißt ein Lied im neuen Gesangbuch.
Das Lied erinnert daran, dass unsere Zeit in Gottes Händen liegt.
„Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden. Gib mir ein festes Herz, mach es fest in dir.“
Was gibt uns im Leben Halt? Wo finden wir Sicherheit und Geborgenheit?
Fragen, die sich nicht erst nach einer Rückschau auf mehr als 50 Lebensjahre stellen. Es ist gut, sie rechtzeitig in den Blick zu nehmen.
Zumindest versuchen wir das, in der Konfirmandenzeit mit euch, liebe aktuelle Konfi-Gruppe.
Im Leben geht es darum, im Fluss der Zeit zu guten Schwimmern zu werden. Die Grundlage dafür sind Werte und Vertrauen.
Vertrauen wir darauf, dass das Leben gelingt?
Vertrauen wir darauf, dass wir sicher ans Ziel kommen? Dass wir trotz Bedrohungen des Lebens bei Gott geborgen bleiben?
Können wir glauben, dass da jemand an unserer Seite ist, der den Gefahren trotzt und an den wir uns wenden können?
Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen und etwas wagen im Leben, um ans Ziel zu kommen, oder dem Leben eine neue Richtung zu geben.
Die Taufe und die Konfirmation sind Zeichen, dass Gott uns dabei helfen will.
 
Mehr noch, wie können uns an unserem Glauben festhalten, er gibt uns Halt in schönen und in schwierigen Zeiten.
Wir können uns mit wichtigen Werten und Tugenden, wie Zuverlässigkeit, Sanftmütigkeit, Furchtlosigkeit, Liebe, Vergebungsbereitschaft, Rücksichtnahme und Achtung vor dem Leben über Wasser halten.
Der Glaube ist dabei wie ein Rettungsring, der uns auf hoher See hilft, nicht unter zu gehen.
Wir müssen auch nicht immer alle Werte und Tugenden mit uns rumschleppen, um ans Ziel zu kommen.
Um im Bild zu bleiben, ist die Taufe dann so etwas wie das Seepferdchen und die Konfirmation der Jugendschwimmschein.
Doch damit hört das sich einüben in den Glauben nicht auf.
Die Frage, wie ich in Verbindung bleibe mit Gott, stellt sich weiter.
Vielleicht sind sie im Laufe des Lebens aus der Verbindung mit Kirche, Gemeinde herausgetreten. Vielleicht haben Sie auch die Zusagen Gottes über ihrem Leben aus dem Blick genommen, weil andere Dinge wichtiger schienen.
Die meisten nähern sich der unbekannten Wirklichkeit Gottes gerade dann besonders an, wenn das Leben Gegenwind hat, wenn wir gegen die Wellen rudern und das Wasser bis zum Hals steht.
Dabei kommt es in jeder Situation darauf an, ein guter Schwimmer, eine gute Schwimmerin zu sein, nicht nur, wenn ein Sturm aufzieht.
Im Moment sind wir global in schwere See geraten. Der Sturm tobt um uns herum. In Europa herrscht Krieg. Die Wellen schlagen über das Boot und wir haben Angst, was morgen sein wird.
Die Angst vor einem Krieg ist plötzlich real geworden. Dabei sind wir als Generation im Frieden aufgewachsen.
 
Die Angst kann uns unser Glaube nicht nehmen. Wir können aber lernen, mit unserer Angst zu leben.
Denn auf den Wellen des Lebens kommt uns Gott nahe.
„Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
   25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See.
   26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst, und schrien vor Furcht.
   27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“
 
Furcht und Ängste gehören zum Leben.
Wir können nicht sagen, wer an Gott glaubt braucht keine Angst haben. Du musst nur aufrichtig beten, dann wird alles gut!
Die Psalmen berichten das Gegenteil: „Deine Wellen überfluten mich, klagt einer im Gebet (Ps 42,8). Oder die Angst meines Herzens ist groß (Ps 25,17).
Es geht im Leben darum, sich den Ängsten zu stellen, so wie wir uns den anderen Herausforderungen des Lebens stellen.
Wir können eigene Stärken nutzen und übermütig, sanftmütig, langmütig, furchtlos und zuversichtlich handeln.
Wir sind in der Lage Wege aus der Angst zu suchen und zu finden.
Das haben wir zum Beispiel in der Anfangsphase der Pandemie erleben können.
Da haben Wissenschaftler in Oxford und in Deutschland begonnen, nach Wegen zu suchen, die lebensbedrohliche Situation des Corona- Virus zu entschärfen.
 
Sie wussten was sie tun mussten, um einen Impfstoff herzustellen und sie haben trotz immer neuen Schwierigkeiten einem Impfstoff entwickelt, der in kürzester Zeit anwendbar war.
Ich glaube, dass wir alle die Fähigkeit in uns haben, den Bedrohungen des Lebens etwas Wirksames entgegenzusetzen, für uns selbst und für andere.
Leben ist Erfahrung, ausprobieren, Auswege suchen, zu merken, so geht´s, so wiederum nicht und dann wieder neu probieren und Erfahrungen machen.
Unsere Gemeinschaft in der Konfirmandenzeit und in der Gemeinde erinnern mich daran.
Es geht darum, die Verbundenheit zu spüren, mit den anderen, die mit im Boot sitzen, und mit Gott.
Wenn man jenseits der 50 oder 60 angekommen ist, dann weiß man, dass man seinem Körper nicht mehr so viel abverlangen kann, wie zum Beispiel mit 14 oder 16.
Wir müssen uns einüben in eine gute Balance aus Körper und Geist.
Wir müssen uns Zeit nehmen für unsere Gesundheit, sonst brauchen wir noch viel mehr Zeit für unsere Krankheit.
Viele machen etwas um fit zu bleiben. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten: Kochkurse, Fahrrad fahren in unserer schönen Natur im Vogelsberg oder der Rhön, Wandern, Kurse in Fitnessstudios, Yoga oder Breitensportarten.
Wer selbst aktiv ist, spürt die belebende Kraft trainierter Muskeln. Spürt, wie sich die Körperhaltung verändert und man sich innerlich aufrichtet.
Im Kirchenvorstand haben wir einen Physiotherapeuten, der uns bei langen Sitzungen immer mal wieder ermutigt, eine andere Haltung einzuüben.
 
Drei kleine Übungen möchte ich gerne mit Euch und Ihnen jetzt machen.
Die erste Übung heißt: „Daumen hoch!“
Wir signalisieren damit Selbstanerkennung und Ermutigung. In den sozialen Medien freuen wir uns besonders über ein „Daumen hoch“ von anderen.
Die zweite Übung heißt: „Dehnen und Strecken!“
Auch im Sitzen geht das, wenn wir auf die Nachbarn neben uns achten. Wir brechen Blockaden auf und machen uns weit. Wir fühlen uns fitter und Ängste werden überwunden.
Die dritte Übung heißt: „Kopf hoch!“
Richten wir uns auf. Richten wir den Blick nach oben, schauen in den Himmel. Wir fühlen uns wacher und präsenter.
Wir müssen etwas tun, um uns selbst zu stärken und zu ermutigen.
Im Glauben ist das nicht anders. Wir müssen uns immer wieder ermutigen und ermutigen lassen, den Zusagen Gottes zu vertrauen.
Es gibt mittlerweile auch viele neue Wege, den Glauben zu erkunden.
Manche nehmen sich Zeit zum Pilgern, oder feiern Fahrradgottesdienst, so wie wir in Wartenberg, im Sommer.
Andere suchen neue Formen der Andacht, zu anderen Zeiten und mit besonderen Themen und musikalischen Akzenten.
Die Kirche ist digitaler geworden.
Auch hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, sich zu stärken und ermutigen zu lassen, jenseits des Sonntagsgottesdienstes.
Was brauchen Sie? Was brauchst du, um ein guter Schwimmer in den Wellen des Lebens zu bleiben?
 
Heute sind wir hier, um uns daran zu erinnern, dass unser Glaube uns Kraft gilt, um zu guten Schwimmern zu werden.
Wir hören die gute Botschaft nach mehr als 50 Jahren neu: du bist geliebt; du bist gesegnet; verzage nicht; sei nicht mutlos; ich bin ein Gott des Friedens, ich bin mit dir unterwegs auf den Wellen des Lebens.
Solche Hoffnungsbilder sind wichtig in einer Welt voller Angst, die oft nur auf die Probleme schaut, und auf die Sturm- und Unwetterwarnung der Nachrichten hört.
Die guten Nachrichten Gottes richten uns auf, sie verändern unsere Haltung und geben uns neue Kraft, um weiter zu schwimmen, nach Hause über das Meer. Wir durchqueren auch Sturm und Wellen, um dir, o Gott, nahe zu sein, um frei zu sein. Amen.

 

Pfarrer Michael Gütgemann, Wartenberg

 


 

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