Predigt 1. Korinther 2, 1-10 vom 2. Sonntag nach Epiphanias 2022

 

In der Tiefe des Polarmeers lebt ein Wesen, dass über 400 Jahre alt werden kann. Kein anderes, lebendes Wesen erreicht diese Lebensspanne, liebe Gemeinde.

Grönlandhaie sind die Methusalems unter den Wirbeltieren.

Wie sah die Welt vor 400 Jahren aus, als die ältesten Geschöpfe geboren wurden? Wie wird die Welt in 400 Jahren aussehen, wenn die heute geborenen Grönlandhaie das Ende ihrer Lebensspanne erreichen?

Im Lauterbacher Lichtspielhaus lief kürzlich ein Dokumentarfilm unter dem Titel „Wer wir waren!“.

Darin äußern sich sechs Wissenschaftler und Denkerinnen verschiedenster Fachrichtungen zum Fortbestand der Menschheit und des Planeten Erde.

Wie klein wirkt doch unsere menschliche Perspektive auf die Zeit im Vergleich zum Leben eines Grönlandhaies.

Was werden zukünftige Generationen über uns denken, wenn wir bereits Geschichte sind?

Der bereits verstorbene Jornalist Roger Willemsen gibt darauf eine Antwort: „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, - von uns selbst nicht
aufgehalten.“

In der Doku WER WIR WAREN blicken wir als Zuschauer auf den gegenwärtigen Zustand der Welt und fragen uns im Geiste von Willemsens Vermächtnis, ob die nachfolgenden Generationen an uns verzweifeln werden.
Der Film führt uns von den Tiefen des Ozeans, über das Dach der Welt, bis in die Weiten des Weltraums.

Weihnachten liegt gerade drei Wochen hinter uns. Christi Geburt wurde auf der ganzen Welt gefeiert, doch nicht für jeden Menschen erschließt sich dieses Ereignis des Heiligen Abends, wo Gott aus den Tiefen der Unendlichkeit zu uns auf die Erde kommt.

Von diesem Geheimnis spricht Paulus heute im Predigttext. Und auch er führt uns dabei in die Tiefe und in die Höhe.

Wir hören einen Abschnitt daraus aus dem Kapitel 2, die Verse 1-10. So schreibt er:
„1 Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.“

In der Tiefe kann man versinken, liebe Gemeinde.

„Tief ist der Ozean. Tief sind die Leidenschaften, sind Angst und Verzweiflung. Unergründlich tief ist Gott selbst.“

Die Tiefe ist bedrohlich. Unkontrollierte Wassermassen gefährden unser Leben.

Wir haben im letzten Jahr in Deutschland erlebt, wie ganze Landstriche, Ortschaften und viele Menschen in den Fluten versunken sind.

Potentiale Überflutungsgebiete müssen für das unvermeidliche vorbereitet werden. An den Küsten errichten wir Deichanlagen, um das Chaos zu bändigen. Wir hoffen, dass dies ausreicht, um uns zu schützen.

Vor Überflutungen des Geistes schützen wir uns mit Erfahrung und Lebensregeln, die das innere Chaos in Schranken halten.

Chaotisch wird es, wenn die Tiefe sich nicht länger bändigen lässt.

Wasserfluten zerstören dann alles auf ihrem Weg. Egoistische Freiheitsliebe und Lebenstriebe zerstören soziale und demokratische Strukturen.

Wie können wir die Tiefe der Gottheit ertragen? Ohne darin zu versinken? Und ohne Gott in unsere menschlichen Denkstrukturen einsperren zu wollen?

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth, die er selbst gegründet hat. „Als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, um euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen.“

Es geht um Wissen und Glauben. Neben dem Geheimnis, was verborgen und doch ganz offenbar ist, bringt Paulus ein weiteres, wichtiges Thema im Predigttext zur Sprache, die Weisheit.

Offenbar gibt es eine Tendenz, vor der Tiefe der Gottheit in die Höhe menschlicher Weisheit zu fliehen. Hier scheint alle Erkenntnis deutlicher und klarer zu sein.

Gleichbedeutend mit Weisheit wären Bildung, Wissen, Gelehrtheit, aber auch Erfahrung und Erkenntnis. - Doch ist dies auch Weisheit?

Und hiermit befinden wir uns mitten in der Spannung, dem Gegensatz, den Paulus benennt:

Wissen und Glauben, Erkenntnis, Weisheit. Was können wir erkennen? Was ist Wissen und was Glauben?

Was ich weiß, dass glaube ich nicht. Und was ich glaube, dass weiß ich nicht.

Beim sogenannten Wissen vertraue ich darauf, dass es gesichert ist.

Gründlich recherchiert, wissenschaftlich bewiesen, so wie die Wirksamkeit eines Impfstoffes gegen ein Virus.

Ich vertraue den Erkenntnissen, die für mich andere überprüft haben. Ich halte es für wahr, glaube ihnen, kann also sagen, ich weiß.

Für den Glauben gilt dies zumeist nicht. Doch auch hier zählt das Vertrauen.

Ich vertraue, dass Gott Mensch wurde, dass Christus am Kreuz gestorben und am dritten Tage auferstanden ist, so wie es mir die Evangelien und Paulus berichten.

Ich halte es fürwahr, glaube ihnen, er glaube es, kann also sagen, ich weiß.

Wissen und Glauben sind also miteinander verbunden, wie zwei Kreise, die sich überschneiden.

Doch dann ist da immer wieder die Frage, was weiß ich wirklich?

Was wird von all dem Wissen im Nebel der Zeit bleiben was verschwinden, wenn ich älter werde, mein Geist nicht mehr so will, wie ich will? Wenn ich vergesslich werde im Alter?

Paulus will nichts weiterwissen als Christus den Gekreuzigten. Ihn stellt er in den Mittelpunkt, uns vor Augen.

Mit Christus wurde alles ans Kreuz geschlagen, was unter den Menschen hochgeschätzt wird oder Achtung erfährt.

Das Wissen und das Nichtwissen, die Erkenntnis, die irdische Macht selbst und das menschliche Bestreben immer weiter, höher, schneller zu werden, das Bestreben, besser als der andere zu sein.

Das Kreuz kehrt alles um: Wissen und Glauben.

Die menschliche Weisheit fällt, wird zur Torheit, und die vermeintliche Torheit, wird zum göttlich Auserwählten.

Und ich muss mich fragen lassen: Was weiß ich wirklich? Kann ich das wirklich verstehen?

„Wir haben den Geist Christi!“ Paulus sagt diesen wichtigen Satz. Er sagt ihn, weil in Korinth die Menschen die Taufe empfangen haben.

Und auch wir sollen uns diesen Satz sagen lassen: „Wir haben den Geist Christi“.

Wir sind getauft, wir haben die Predigt von Christus, dem Gekreuzigten. Wir können im Laufe des Lebens die Tiefen der Gottheit erforschen.

Wer will uns scheiden von der Gemeinschaft mit Gott, Trübsal oder Angst, oder Verfolgung oder Hunger, oder Entbehrung oder Schwert, fragt Paulus.

Aus der Gewissheit, dass wir den Geist Christi haben, antwortet er seiner römischen Gemeinde: „Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“ (Röm 8,35ff).

In der Tiefe Gottes ist mein Leben aufbewahrt, meine Gegenwart, meine Vergangenheit, meine ganze Zukunft.

In der Tiefe ruht meine Verblendung und meine Erleuchtung, mein Leiden und meine Leidenschaft, mein Engagement für den Zusammenhalt und das Leben und meine Erlösung.

Der Film „Wer wir waren“ enthält am Ende eine hoffnungsvolle Botschaft für uns bereit.

Wir selbst haben es in der Hand wer wir sind, wenn wir unsere Verbundenheit, unsere Gemeinsamkeit, unser ›Wir‹ erkennen.

Die Antwort „Wer wir waren“ können wir uns nur selbst geben. Unser Glaube gibt nicht Antwort auf die Frage „Wer wir waren“, sondern was wir sein werden, wenn wir im Meer der Liebe versinken.

Paulus erklärt uns am Ende seines Briefes noch einmal das Geheimnis und das Erkennen.

Mit einem wundervollen Bild zeichnet er uns es vor Augen:
„Jetzt sehen wir alles nur wie in einem Spiegel und wie in rätselhaften Bildern. Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur Bruchstücke, einen Teil des Ganzen.

Aber eines Tages werden wir ´Gott` von Angesicht zu Angesicht sehen; dann aber werden wir alles so erkennen, wie Gott uns jetzt schon kennt.“

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Lied EG 70,1.3+7 Wie schön leuchtet der Morgenstern

 


 

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