Predigt für Sonntag Lätare den 14. März 2021

 

Predigttext: Phil 1,15-21
Thema: Gottesdienst als heilfreie Zeit in der Woche

„Der Gottesdienst ist die neidfreie Zeit in der Woche“, liebe Gemeinde. Dieser Satz begleitet mich schon ein paar Jahre.
Ich finde, es ist eine wohltuende Umschreibung. „Der Gottesdienst ist die neidfreie Zeit in der Woche.“
Was für ein Satz!
Wir sehnen uns ja alle nach solchen Zeiten. Und der Gottesdienst ermöglicht dieses Gefühl.
Und doch, so toll wie das klingt, müssen wir uns fragen, ob das wirklich so stimmt?
Wir wissen doch aus eigener Erfahrung, dass Neid ein schwieriges Thema ist.
Darüber reden wir nicht gern.
Neid entsteht, wo wir uns mit anderen vergleichen.
Im Märchen heißt es: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land?“
Unsere Gefühle sind nicht nur ehrlich und liebevoll.
Wir nehmen nicht immer Rücksicht auf andere. Wir erleben, wie wir und andere die Ellenbogen ausfahren.
Kinder und Jugendliche erleben Neid in der Familie und in der Schule.
Der Neid entsteht meist dort, wo wir das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden. Und er entsteht dort, wo andere etwas haben, was wir nicht haben.
Weil wir diese Erfahrungen kennen, müssen wir uns fragen, ob unsere Gottesdienste dann wirklich neidfreie Zeiten für uns sein können.
So eingestimmt auf den Gottesdienst hören wir die Worte des Predigttextes für den heutigen Sonntag.
Ich lese aus Phil 1 die Verse 15 bis 21.
„15 Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: 16 diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; 17 jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. 18 Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; 19 denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, 20 wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. 21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“

Der Apostel Paulus ist gefangen. Es ist nicht sicher, ob er frei kommen wird oder sterben muss. Seine Gemeinde sorgt sich um ihn und Paulus sorgt sich um die Verkündigung des Evangeliums.
Paulus kann offenbar sehr gut predigen.
Einige Jahre zuvor war er als Missionar in die römische Metropole am Mittelmeer gekommen. Er traf hier ganz unterschiedlich religiös geprägte Menschen.
Seine Botschaft von Christus kommt bei den anders Gläubigen gut an.
In Philippi entsteht eine kleine christliche Gemeinde.
Sie ist neu auf dem religiösen Markt und ihre Botschaft findet immer mehr Anhänger.
Doch Paulus wird gefangen genommen.
Manche aus der Gemeinde sehen darin einen Rückschlag. Sie fragen: Wie kann Christus es zulassen, dass sein bester Mann im Gefängnis sitzt?
Hat sich Christus von Paulus abgewendet?
Wird die Verkündigung des Evangeliums durch seine Gefangenschaft und seinen möglichen Tod weiter Menschen erreichen?
Und zu allem Übel gibt es unter den sonst noch Predigenden Streit.
Die Philipper spüren unter ihren Geschwistern, die predigen, konkurrierendes und neidisches Verhalten.
Ja, sie streiten sogar offen miteinander.
Und Paulus sitzt im Gefängnis und kann nicht helfen. Was für eine verwirrende Situation für eine junge Gemeinde.
So sehr sich die Lebenswirklichkeit auch zwischen damals und heute verändert haben, ist doch die Grunderfahrung die gleiche - und was die Philipper da erleben, ist zutiefst menschlich.
Noch heute verhalten sich Menschen untereinander neidisch oder streitsüchtig – auch in unseren Kirchengemeinden.
Doch wie gehen wir damit um?
Seit heute feiern wir wieder real Gottesdienst in der Kirche Angersbach.
Wir kommen zusammen und lassen den Raum mit seinen Farben, Bildern und der liturgischen Raumgestaltung auf uns wirken. So ein besonderer Raum macht etwas mit uns, bewusst und unbewusst.
Heute richte ich unseren Blick mal auf den Schalldeckel unserer Kanzel. Ganz weit oben. Wir müssen von unten uns anstrengen, die Person auf dem Deckel zu entdecken.
Zusammen mit Christoph Hilbrick habe ich versucht die Figur dort im Bild festzuhalten. Auf den Geburtstagkarten unserer Gemeinde ist eine Nahaufnahme zu sehen. Ich habe Ihnen das Bild auf die Plätze gelegt.
Dort oben steht Mose wie auf dem Gottesberg Horeb.
In der rechten Hand hält er seinen Stab mit dem er das Meer teilte und in der linken hält die Tafel mit den Geboten hoch erhoben in den Händen.
Bei genauerem Hinsehen entdecken wir auch die hebräischen Schriftzeichen.
Ein wichtiges Gebot lautet: „Du sollst nicht begehren.“
Wir haben die Erinnerung an die Gebote als eigentlich jeden Sonntag vor Augen, liebe Gemeinde, wenn wir uns hier versammeln. Jedenfalls wenn wir den Blick nach oben richten.
Wir wissen darum. Und doch genügt es nicht, wenn wir es sehen. Es genügt nicht, wenn wir es uns sagen lassen. „Du sollst nicht begehren.“
So funktioniert es nicht. Es klappt ja auch nicht, wenn wir unseren Kindern sagen: Seid mal nicht neidisch!
Heute ist die Kommunalwahl. Auch hier bei uns wurden die Debatten heiß geführt.
Schuldzuweisungen gingen hin und her. Jeder will etwas beitragen zum Gemeinwohl. Doch oft konkurrieren wir miteinander. Wir sind neidisch auf die Macht des anderen.
Gute Politik lebt von Visionen.
Da gibt es unterschiedliche Interessen. Sie zu bündeln und weiterzuentwickeln ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.
Wir leben doch miteinander und nicht gegeneinander.
Dennoch schauen die beiden Orte in Wartenberg hier und da neidisch darauf, was der andere hat, oder noch nicht hat.
Auch bei uns in den Kirchengemeinden werden Diskussionen von Neid bestimmt.
Alles geht nach Angersbach. Sogar die Pfarrer wohnen jetzt da. Warum findet der Konfirmandenunterricht in Angersbach und nicht in Landenhausen statt?
Sie haben als Pfarrer den einen Ort mehr, den anderen Ort weniger im Blick. Sie sehen gar nicht, was für engagierte Menschen hier leben.
Im Predigtabschnitt gibt Paulus eine Antwort worauf es unter uns eigentlich ankommen sollte.
Für Paulus kommt es auf die richtige Perspektive an.
„Was soll`s“, so sagt er! Paulus lädt zur Gelassenheit ein.
Er sagt, „wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise.“ Das ist seine Leitidee, dass was wirklich zählt.
Hauptsache: Christus wird verkündigt! Das andere ist nachrangig.
Paulus eröffnet uns damit keinen neuen Weg zur Neidvermeidung. Er entwickelt hier keine neue Strategie.
Hauptsache: Christus wird verkündigt! Das genügt.
Das ist auch unsere Aufgabe heute! In der Coronazeit nicht nur hinter Kirchenmauern, sondern auch digital im Netz.
Christus zu predigen bedeutet nicht zuerst unsere Verhaltensweisen zu ändern, sondern es bedeutet Heilung von Beziehungen.
Gott heilt die Beziehung zu uns und er möchte, dass auch wir untereinander in heilsamen Beziehungen leben. Alles andere ist nachrangig.
Daher ist Gottesdienst real oder digital nicht die neidfreie Zeit, sondern er ist die heilsame Zeit der Woche.
Wir erleben heilsame Zeit, weil eitle Motive es nicht verhindern können, dass Gott uns anredet.
Bei meiner Arbeit mit Kita-Kindern frage ich gern die Kinder, wie Jesus mit uns redet. Die häufige Antwort lautet: „Nah, beten!
Der Gottesdienst und der Glaube bringen unser Leben mit Christus in Kontakt. So nimmt Gott zu uns Kontakt auf in seinem Wort und dem Gebet.
Im Gebet können wir das, was unser Herz schwermacht, bei Christus und Gott abladen. Sein Geist nimmt Wohnung bei uns.
Selbst wenn wir im Alltag an Gottes Geboten scheitern, müssen wir nicht verzweifeln. In seinem Wort richtet uns Christus, aber er richtet uns auch auf. Eine heilsame Zeit ist nicht immer eine ganz schmerzfreie Zeit.
„Was soll`s“, so sagt Paulus. Er meint damit nicht: „Lasst es laufen. Ist doch egal. Wir können sowieso nichts machen.“
Paulus kommt im Gefängnis zu dieser Gelassenheit, weil er ihr was Anderes entgegensetzen kann. Er kommt zu einem ermutigenden Bekenntnis.
„Christus ist mein Leben. Sterben ist mein Gewinn“.
Christus ist Leben, weil ich mein Leben aus der Beziehung zu Christus und nicht aus mir selber gestalten darf.
Sterben ist mein Gewinn, weil ich Christus all die belastenden Sorgen, Erwartungen, den Druck von außen, Neid und meinen falschen Ehrgeiz übergeben kann.
Paulus ist damit bis an die Grundfeste seines Glaubens gegangen. Wir lassen uns dies am heutigen Sonntag von Paulus zusagen. Und wir können im Alltag weiter nach heilsamen Zeiten suchen.
Gerade jetzt in der Passionszeit können wir uns heilsame Zeiten besonders gönnen.
Manche gestalten die Passionszeit als Fastenzeit. Sie beginnt an Aschermittwoch und endet am Ostersonntag. Da gibt es ganz unterschiedliche Wege zu fasten. Manche verzichten auf Schokolade, andere auf Alkohol. Einige sogar auf die private Internetnutzung.
Die evangelische Kirche stellt die Fastenzeit jedes Jahr unter ein Motto. In diesem Jahr lautet das Thema: „Spielraum“. Sieben Wochen ohne Blockaden.“
Unsere Lebensräume brauchen Regeln, doch zu den Regeln gehört der Spielraum. Diese auszuloten ist mittlerweile eine Kunst.
In unserem Miteinander egal ob in Kirchen- oder politischer Gemeinde hat niemand die absolute Wahrheit für sich gepachtet. Es ist immer ein Abwägen, Suchen, Annähern und entfernen.
Die Liebe und die Gnade Gottes machen Regeln für uns im Alltag machbar.
Spielraum bedeutet nicht: Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich. Nein, es bedeutet: Lass uns mal drüber reden, was die beste Lösung für uns alle ist.
Die Fastenaktion der Ev. Kirchen lädt dazu ein meinen persönlichen Umgang mit den Regeln und Geboten zu überdenken.
Wie kann ich innerhalb der akzeptierten Grenzen vertrauensvoll Leben?
Mit unserem Nächsten in Familie, Gruppen, politischen Fraktionen und Vereinen sollten wir ebenfalls darüber reden.
Die Aktion 7 Wochen ohne Blockaden ist eine Einladung mit bewegenden Bildern und ansprechenden Texten unsere Haltungen und unsern Glauben zu bedenken.
Gerade jetzt wo wir uns in den Kirchengemeinden noch nicht so regelmäßig treffen, lädt die Aktion außerhalb des Gottesdienstes ein, heilsame Zeiten und neue Freiräume entdecken.
Auch bei unseren digitalen Andachten können wir uns heilsame Zeiten im Alltag gönnen. Einige haben mir erzählt, dass sie manche Andachten immer wieder und zu unterschiedlichen Zeiten hören. In Abschnitten oder ganz.
Der heutige Sonntag erinnert an die Freude, die aus einem Leben mit Christus kommt.
Dieser Sonntag, an dem wir uns erstmals wieder zum Gottesdienst versammeln ist wirklich ein kleines Osterfest, weil wir aufstehen aus dem Alltäglichen, um hier Gott zu begegnen.
Die Freude über die Gemeinschaft mit Christus begleitet uns jetzt und eben auch im Alltag.
Wir können auf unterschiedlichen Wegen unser Leben mit Christus vertiefen, real und digital.
Von Christus her wird dies nicht durch neidische Gefühle beeinflusst.
Darum sind tatsächlich von Gott her unsere Gottesdienste neidfreie Zeiten. Das tut gut! Gott sei Dank dafür! Amen.
Kanzelsegen: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. (Phil 4,7)

 

Pfarrer
Michael Gütgemann

 


 

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