Predigt zum Reformationstag am Sonntag 01. November 2020
Predigt Ein feste Burg EG 362 (Psalm 46)
Liebe Gemeinde,
es ist ein besonderes Jahr in dem wir uns bewegen. Ein Jahr in dem auch für uns als Kirche und Gemeinde vieles anders ist als sonst.
Wir feiern Gottesdienste auf Abstand, mit Masken und ohne Gemeindegesang. Wir machen aber auch Erfahrungen mit anderen Formen. Wir haben viel mehr Gottesdienste nach draußen verlegt.
Unsere Einführung im August zum Beispiel und das Erntedankfest. Es liegt noch nicht lange zurück und es waren trotz Corona viele Menschen in Wartenberg und Rudlos unterwegs, um Erntedank zu feiern.
Wir feiern unsere Gottesdienste so wie heute in kurzer Form. Vielleicht gilt ja auch hier der Satz: „In der Kürze liegt die Würze!“
Gestern haben wir uns an die Reformation vor 503 Jahren erinnert.
Am 31.10.1517 veröffentlichte der Theologie Professor Martin Luther in Wittenberg seine berühmten 95 Thesen.
Es waren Sätze gegen die Angst der Menschen um das eigene Seelenheil. Es waren Worte, die am Fundament der verfassten Kirche rüttelten und zur Gründung der Evangelischen Kirchen in Deutschland führten.
Im Jahr 2020 ist uns durch ein Virus die Unverfügbarkeit unseres Lebens auf dramatische Weise besonders eindrücklich vor Augen geführt worden.
Viele blicken sorgenvoll in die Zukunft, haben Angst um Leib und Leben.
Und wir tauchen gerade in eine neue Phase der Pandemie ein, deren Folgen noch nicht absehbar sind. All das macht uns Angst.
Eine Angst, die heute mehr als zur Zeit Luthers in der Gegenwart verhaftet ist. Wir haben Angst um unsere Jobs, die Gesundheit und vor dem unerwarteten Tod. Wir haben weniger Angst vor dem, was nach dem Tod sein wird.
Wir sind in unserem Glauben herausgefordert, wie vielleicht zuletzt zur Zeit der Reformation. Ist das Jahr 2020 damit auch ein besonderes Reformationsjahr für unsere Kirche und die Gemeinden?
Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck hat das Jahr 2020 als Innovationjahr für die Kirche bezeichnet.
Wir müssen nämlich nicht jammern, was alles nicht geht. Es geht doch einiges und vieles kommt gut an.
Wir müssen gemeinsam vieles neu denken und ausprobieren, statt immer wieder den Satz zu betonen: „Das war schon immer so.“
Es entsteht Neues, weil vieles, was bisher ging, in der Krise nicht mehr möglich ist.
Die Frage wie es uns dauerhaft verändern wird oder ob es uns dauerhaft verändern wird, ist eine Frage, die uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird.
Was von dem was neu entstanden ist, wird bleiben? Z.B. Gottesdienste in kürzer Form, digitale Andachten?
Was von dem was nicht geht, wird wiederkommen? Singen zum Beispiel, darauf freue ich mich schon sehr. Wie wird sich das Arbeiten in der Kirche verändern? Wie wird das Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung haben?
Die Kommunikation hat sich verändert und das wird langfristig Auswirkungen darauf haben, wie wir Kirche sind.
Was wir in unserer Kirche gerade erleben ist auch eine Reformation der Formen und der Inhalte.
Neue Orte brauchen neue Formen.
Ein digitaler Gottesdienst ist nicht einfach ein Gottesdienst, wo ich mein Handy hinhalte. Hier braucht es andere Blickrichtungen und ein anderes Einbringen der Musik.
Ein Gottesdienst im Ort an Stationen braucht eine andere Liturgie und andere Musik, denn unsere Orgel können wir nicht auf einen Schlepper packen und durchs Dorf fahren.
Hinter all unseren Bemühungen zur Zeit steht die Frage, wie sprechen wir heute von dem was uns tröstet und Kraft gibt. Wie finden wir gemeinsam Antworten auf die Bedrohungen des Lebens.
Das war auch ein zentrales Anliegen des Reformators Martin Luther.
Er hat für uns die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit wir selbst zur Kraftquelle vorstoßen können.
Mehr noch: Er hat aber auch gedichtet und gesungen. Ein wichtiges Lied gegen die Angst haben wir vor der Ansprache gehört. Wir haben seine Melodie noch im Ohr.
„Ein feste Burg ist unser Gott“. – Dieses Lied gehört zum Reformationstag:
„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.
Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren.
Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.“
Als Luther die Verse dichtete waren nach dem Thesenanschlag im Jahr 1517 schon wieder 10 Jahre ins Land gegangen.
Viel war geschehen, was Martin Luther gewiss so nicht vorausgesehen hat.
Der Kampf gegen Rom; die Standhaftigkeit vor dem Kaiser und den Fürsten. Die Flucht auf die Wartburg. – Schon wieder der Streit um die rechte Lehre, jetzt unter seinen Schülern. Der Streit ums Abendmahl.
Und dann wütet zu all dem auch noch die Pest in Wittenberg.
Die Luthers öffnen ihr Haus für Freunde und Schüler, pflegen Kranke, müssen Frauen und Kinder zu Grabe tragen.
In einem Brief an Nikolaus von Amsdorf schreibt Luther am 1. November 1527, 10 Jahre nach dem Thesenanschlag, wie ihm zumute ist: „Draußen sind Kämpfe, inwendig Schrecken, und zwar herbe; auswendig Streit – inwendig Furcht.“
Und da, so stelle ich es mir vor, da sitzt nun Luther in seiner Studierstube, von all dem unmittelbar erlebten Leid, von grundlegenden Zweifeln durchgeschüttelt und angefochten, und fragt sich: was kann mir jetzt noch helfen? Wo finde ich Hoffnung und Zuversicht? Wo ist ein Ort, zu dem ich fliehen kann?
Er liest in der Bibel, in den Psalmen, liest den 46. Psalm, immer und immer wieder, in dem es heißt:
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken“.
Und – er erinnert sich an die Wartburg. Dort, hinter den mächtigen Mauern, hatte er einst Schutz gefunden, vor dem Zugriff des Kaisers – und des Papstes auch. Große Hilfe in äußerster Gefahr.
Dem 46. Psalm gibt er diese Überschrift „Ein feste Burg ist unser Gott“ – Und dann schreibt er das Lied, sein Lied, sein Bekenntnis.
„Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen“.
Und dazu auch die Melodie, die gar nicht depressiv und schwer, sondern eher leicht und bewegt daherkommt, wenn auch keinesfalls jubelnd oder gar triumphal.
Ein feste Burg ist unser Gott – ja, aber eben doch ganz anders als die hohen, meterdicken Mauern der Wartburg mit ihren Zinnen und Türmen.
Dieses Luther-Lied ist keine Reformationshymne. Nein, da schreibt ein Mensch, der von Ängsten gequält und von Zweifeln übermannt ist. Eher leise, und nicht triumphierend klingt es im Ohr.
Dennoch, trotz allem: „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr.....“
Auch dann noch: Gott ist für Luther wie eine Burg. Wie eine letzte Zuflucht, wenn alles ins Wanken gerät. Du brauchst du dich nicht zu fürchten!
Ein feste Burg ist ein Trostlied, auch für uns heute.
In all den ambivalenten, widersprüchlichen Erfahrungen dieses Jahres, auch noch in abgrundtiefer Angst und bitterer Not kann ich dessen gewiss sein: da ist einer, der mich hält, der mich nicht ins Bodenlose sinken lässt, der mich mit seinem Schutz umgibt:
- Ein feste Burg ist mein, ist unser Gott.
Darauf kann ich vertrauen, im Leben und mit Blick auf die ungewisse Zukunft.
Um dieses Vertrauen zu stärken brauche ich die Gemeinschaft, das Singen, beten und auf Gottes Wort hören.
Als Stärkung brauchen wir die Feier der Sakramente wie Taufe und Abendmahl und den Zuspruch und die Erfahrung des Segens, Gottes heilsamer Berührung meines Lebens.
All das wird auch wieder mehr möglich sein. Darauf vertraue ich. Im Miteinander. Dann wird es wieder heißen: „Lasst uns miteinander, lasst uns miteinander singen loben danken dem Herren.“
Mit Blick auf die Reformation und die Erneuerung der Kirche, lasst uns schon jetzt miteinander überlegen, was gut und wichtig ist und was bleiben soll in unserer Kirche.
Lasst uns ernsthaft darüber sprechen, was nicht mehr weitergeführt werden kann, weil diese Formen ihre Zeit hatten und wir als Kirche mit der Zeit gehen müssen, um nicht mit der Zeit zu gehen.
Lasst uns das gemeinsam tun. Lasst uns in dieser von Angst erfüllten Welt „Anwalt des Lebendigen sein“, weil wir als Kirche und Gemeinde keinem System dienen, sondern den Menschen.
Lasst uns fragen, wo können wir uns gegenseitig stärken und ergänzen, statt das alle zur gleichen Zeit das Gleiche tun.
Lasst uns gemeinsam immer wieder zur Quelle kommen und auf Gottes Wort hören. Denn wir haben die eine Wahrheit nicht für uns.
Mitten in diesem von Einbrüchen und Invokationen in der Gemeinde bestimmten Jahr, erinnern wir uns besonders daran, dass unsere Kirche schon immer Veränderungen unterworfen war.
„Ecclesia semper reformanda.“
Dieser Grundsatz steht für das Anliegen der Reformation, dass sich Kirche in allen Bereichen, in ihrer Verkündigung, in der Struktur und im Lebensstil der Christen immer wieder neu vom Wort Gottes richten und erneuern lassen soll. Das vergessen wir in unserem gemeindlichen Alltag oft. Der Reformationstag hält diesen wichtigen Grundsatz unserer reformatorischen Kirche wach.
„Ein feste Burg ist unser Gott“ - d.h., er bleibt unser sicherer Grund, auch wenn sich kirchliches Leben verändert und verändern muss. Er bleibt unser sicherer Grund in den Krisen des Lebens, egal, welche Gestalt sich unsere Kirche in der Welt gibt.
Für uns alle gilt, dass unser Leben mit all seinen unterschiedlichsten Erfahrungen ambivalent bleibt.
Dass Gott allein in unserem widersprüchlichen Leben unsere feste Burg ist, dessen müssen wir uns immer wieder neu vergewissern.
Ein Wagenburg-Denken bringt uns nicht weiter!
Als Joachim Gauck als Bundespräsident verabschiedet wurde, hat er sich beim großen Zapfenstreich „Ein feste Burg ist unser Gott“ gewünscht.
Der Choral habe ihm, so sagte er, schon im jugendlichen Alter Selbstvertrauen geschenkt in einer Gesellschaft, in der sich fast alle aus lauter Angst vor den Herren der Welt weggeduckt hätten.
Solches Selbstvertrauen dürfen auch wir haben, um aufrecht und mit gestärktem Rücken in diesen dunklen November zu gehen und auch anderen beizustehen, die von Angst getrieben und vom Tod bedroht werden.
Von solchem Vertrauen erfüllt, können wir uns auch auf den Weg machen, allein und gemeinsam als Gemeinde und Kirche Jesu Christi. Amen
Pfarrer Michael Gütgemann
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